Betreutes Wohnen, Tagespflege und Ambulanter Pflegedienst.
Aus einer Hand, unter einem Dach.
Das erst vor rund zehn Jahren begonnene Engagement des Kreisverbandes im Bereich der Dienstleistungen für ältere Menschen wird immer kompletter. Mit dem Einzug des Ambulanten Pflegedienstes in den Gebäudekomplex Marienplatz hat das DRK eine Lücke am Standort Weinheim-Weststadt geschlossen. Für den Standort war das Büro eine naheliegende Ergänzung. Ein guter Synergieeffekt entsteht allein schon durch die Möglichkeit des angebotsübergreifenden fachlichen Austauschs der Mitarbeiter/-innen.
Im hierfür eingerichteten Besprechungsraum sprach GUT LEBEN-Chefredakteur Klaus Vatter mit Gudrun Bender, der DRK-Pflegedienstleiterin, und führte weiter unten im Text ein Interview mit Melanie Wolthusen-Röhn, DRK-Leiterin der Tagespflege und dem Betreuten Wohnen.
„Nur eine Viertelstunde zuhören zu können, rettet einen ganzen Tag.“
Es mag angesichts der eng getakteten Arbeitszeiten in der Ambulanten Pflege zunächst verwundern, aber Biografiearbeit spielt für Gudrun Bender auch in ihrem Bereich eine große Rolle: „Sie ist ganz wichtig, um die Menschen zu verstehen, ein Bild vom Menschen zu gewinnen. Ich arbeite sehr gern im Ambulanten Dienst, weil man direkt in die über viele Jahrzehnte gewachsene Welt der Menschen hineinkommt. Das gute Zuhause hält in Bewegung, schafft Selbstbewusstsein und ein Gefühl von Freiheit.“
Die Leiterin des neuen ambulanten Pflegeangebots am Marienplatz in der Weinheimer Weststadt, das die Angebote des Betreuten Wohnens und der Tagespflege nun komplettiert, räumt sehr schnell mit einigen Vorurteilen auf: „Wir haben es zumeist mit noch fitten Leuten zu tun. Pflege besteht für mich nicht nur aus der Pflege am Körper. Es gibt zwar bekanntlich nur beschränkte Zeitfenster für einen Besuch. Aber umso mehr gilt es, die vorgegebene Zeit optimal zu nutzen.“
Was die erfahrene Pflegedienstleiterin weiß: „Nur eine Viertelstunde zuhören zu können, rettet einen ganzen Tag. Und das merkt man auch – und bekommt viel zurück. – ,Wie haben Sie gelebt? Welche Einstellung haben Sie?’ Mit solchen Fragen tut man auch allen, denen es gerade nicht gut geht, etwas Gutes.“ Gudrun Bender erklärt uns gern, was ihre Euphorie für den Ambulanten Dienst am meisten antreibt: „Die Leute sind ja sehr bestimmt von ihrem unbedingten Willen, so lange wie irgend möglich zu Hause zu bleiben. Darum finden sie es gut, wenn man sie darin unterstützt. Niemand möchte in ein Heim. Alle privaten Netzwerke knüpfen sich an die Wohnung, die Nachbarschaft und das Viertel.“ Und dies alles ist ja nicht zu Ende, nur weil man sich eine Hilfestellung durch die Ambulante Pflege vom DRK gönnt: „Stellen Sie sich bitte keine einsam auf den Pflegedienst wartenden Personen in ihren Wohnungen vor“, mahnt die engagierte Rotkreuzlerin, „viele haben noch immer ihren Kegelverein, pflegen ihren Freundeskreis und ihre Hobbys. Es kommt immer wieder vor, dass mir abgesagt wird, weil ein Termin beim Frisör oder bei der Kosmetikerin ansteht.“
Die Annahme von Hilfe – ein Akt der Souveränität.
Uns interessiert nun auch, wie eine begeisterte und hoch motivierte Pflegeverantwortliche sich auf ihr eigenes Alter einstellt. Da ist die Rotkreuzlerin ganz klar: „Ich persönlich habe gar keine Angst vor dem Alter. Null. Ich erlebe es auch für mich selbst als schön. Wichtig ist dabei, das Selbstverständliche anzunehmen und immer zu schauen: Wie kann ich das Leben, das mir wichtig ist, auch unter schwereren Bedingungen weiterführen, in dem ich bewusst Hilfe annehme? Und wie schaffe ich es, trotz allem in möglichst vielen Dingen tatsächlich gar nicht alt zu sein?“ Ihre Botschaft hat tatsächlich etwas Beruhigendes: „Das Problem der Isolation und Einsamkeit erlebe ich eher als Ausnahme. Die neue ältere Generation hat wesentlich weniger Probleme damit, offene Angebote wie die Tagespflege zu nutzen, weil sie es gewohnt ist, bestimmte Hobbys und Interessen zu haben und diese auch außerhalb von Beruf und Familie zu pflegen.“
„Umso wichtiger ist es“, fasst Gudrun Bender zusammen, „angebotsübergreifend zu beraten – und nicht immer nur verinnerlichte Wahrnehmungsschemata der Vergangenheit zu reproduzieren.“ Die Angehörigen sieht sie dabei in einer wichtige Rolle: „Das schlechte Gewissen, die Angehörigen ,abzuschieben’, ist nicht mehr das Problem. ,Was denken jetzt die Nachbarn von mir?’ – Das ist Vergangenheit. Die Tagespflege ist zum Beispiel eine Normalität.“
Neues, buntes Altern – eine Normalität nimmt (Wohn-)Formen an
Von Melanie Wolthusen-Röhn, der Leiterin der Tagespflege und des Betreuten Wohnens am Marienplatz, wollten wir einmal etwas über das Leben im Haus selbst erfahren: über die direkte Nachbarschaft der Angebote und ihr Zusammenspiel. Vorab eine Bitte: Haben Sie am besten beim Lesen des folgenden Interviews schon einmal einige spannende Fragen im Hinterkopf. Vielleicht werden sie ja ein Stück weit beantwortet: Stimmen unsere Wahrnehmungsmuster vom Altwerden eigentlich noch? Oder andersherum: Sind alte Menschen eigentlich noch alt, wenn man einmal von ihrem Geburtsdatum absieht?
GUT LEBEN: Von mehr Lebensqualität im Alter profitieren alle Generationen. Die eine sofort, die andere später. Trotzdem wird das Thema nicht gern offen angesprochen. Man hofft für sich, dass es noch möglichst lange dauern möge, bis man von ihm eingeholt wird. Und bis dahin sind halt nur die anderen alt. Hier in Ihrem Haus, Frau Wolthusen-Röhn, kommen aber Menschen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen und Blickperspektiven auf das Alter zusammen. Wie geht man eigentlich an einem Ort mit dem Alter um, an dem man dem Thema eigentlich gar nicht mehr entgehen kann?
Melanie Wolthusen-Röhn: Ich bin praktisch von Anfang an, also seit zehn Jahren in diesem Haus. Das Betreute Wohnen und die Tagespflege unter einem Dach – das hat zu Beginn tatsächlich einige Irritationen ausgelöst. Aus dem Betreuten Wohnen heraus wurde die Tagespflege als ein Angebot für alte und gebrechliche Menschen gesehen. Also für einen Zustand, den man weit von sich wies, nicht ohne den angstvollen Gedanken: Hoffentlich gehöre ich nicht irgendwann auch dazu! Wir hatten als junge Fachkräfte bis dahin immer die Vorstellung gehabt, auch viele gemeinsame Aktivitäten planen zu können. Aber das erwies sich zunächst als ziemliche Wunschvorstellung. Tagesgäste zu Gast in Veranstaltungen des Betreuten Wohnens? Völlig ausgeschlossen! – Wir haben versucht zu erklären, dass man nicht nur aus Gründen der körperlichen oder geistigen Eingeschränktheit in die Tagesgruppe kommt, sondern einfach aus dem Bedürfnis nach Kontakt.
GUT LEBEN: War man sich denn tatsächlich so fremd? Gab es nicht auch alte Freunde, Bekannte oder Nachbarn, die sich hier plötzlich wiedertrafen?
Melanie Wolthusen-Röhn: Natürlich gibt es auch solche Momente. Wir haben schon mehrfach erlebt, dass sich alte Schulfreundinnen und -freunde in der Tagespflege wiedergetroffen haben. Auch Familienangehörige. Da trifft gelegentlich ein Cousin seine Cousine wieder, die er Jahrzehnte nicht gesehen hat – warum auch immer. Aber sie erkennen sich sofort. Manchmal kommen plötzlich Gäste zu zweit zu mir und berichten stolz: „Wir haben früher zusammen auf dem Tennisplatz gestanden – und uns jetzt hier und heute wiedergetroffen.“ Oft gibt es dabei tatsächlich einen erstaunlichen Effekt: Jahrzehnte sind spontan wie weggewischt. Man knüpft wieder genau dort an, wo man vor vielen Jahrzehnten aufgehört hat: eine ganz tolle Perspektive, die den Alterungsprozess bestimmt nicht beschleunigt!
GUT LEBEN: Hat sich denn mit der Zeit die „Chemie“ zwischen Betreutem Wohnen und Tagespflege verbessert?
Melanie Wolthusen-Röhn: Oh ja, natürlich! Je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, und je öfter es dann zu persönlichen Begegnungen kommt, desto mehr entdeckt man für sich neue Aufgaben, in denen man sich auch sehr wohlfühlt. Etwa innerhalb des Hauses und der Gemeinschaft: Man kümmert sich um andere, die vielleicht nicht mehr so stark und gut zu Fuß sind. Es ist heute kein Problem mehr, Tagesgäste und Menschen aus dem Betreuten Wohnen zu mischen. Weil sie gemerkt haben, dass Menschen zwar oft aufeinander angewiesen sind, es aber auch schön ist, dass es andere gibt, die Lust haben zu helfen und damit eine gute Aufgabe zu übernehmen, die etwas mit Sinn zu tun hat. Gebraucht zu werden, kann ja auch ein sehr schönes Gefühl sein. Das beginnt mit ganz einfachen Dingen. Und wenn es nur darin besteht, dem Nachbarn einmal in der Woche Brötchen mitzubringen. Es entsteht Gutes und Spannendes, wenn ich mich für andere interessiere, als Nachbarn: Menschen, die eine Bedeutung für mich haben.
GUT LEBEN: Damit ist das Rote Kreuz ja mit seinen Grundsätzen, seiner Philosophie und seiner ganz pragmatischen Haltung genau am richtigen Platz.
Melanie Wolthusen-Röhn: Oh ja, die beste und konsequenteste Möglichkeit, dem schlechten Gefühl, hilfsbedürftig zu sein, zu entgehen, besteht schließlich nach wie vor darin, dass man anderen hilft. Und auch etwas anderes ist bei uns sehr typisch für das Rote Kreuz: die Selbstorganisation. Unsere Gäste sind immer am meisten begeistert, wenn sie ihre eigenen Ideen umsetzen. Das ist für sie dann etwas, das mehr mit ihrem eigenen Leben zu tun hat als mit einem Programm des Roten Kreuzes. Dies aber ist der Ort, wo man gemeinsam etwas machen kann, wo man eine Rolle hat, in der man ernstgenommen und respektiert wird, so wie man ist. Das Grundproblem des Älterwerdens wird hier sehr gut aufgefangen.
GUT LEBEN: Welche Aktivitäten stehen denn aktuell auf dem Programm?
Melanie Wolthusen-Röhn: An jedem zweiten Sonntag gibt es einen Kaffeenachmittag, wo alles selbst organisiert wird. Einkauf, Tische Eindecken und Abräumen. Auch das Programm rundherum: immer ist jemand aus der Gruppe dafür zuständig. Gedichte werden vorgelesen, Spiele gespielt, und es gibt manchmal Reiseberichte von Bewohner/-innen, die Bilder mitbringen. Daraus können dann kleine Länderporträts mit passendem Essen entstehen. Vielleicht war auch selbst schon einmal jemand aus der Gruppe dort. Was ist jetzt anders? – Manchmal kommen die Angehörigen und fragen nach: Stimmt das denn, was meine Mutter uns erzählt hat? Was gab es zum Essen? Was habt ihr denn da wieder ausprobiert? Und dann kommt das Angebot: „Wenn ich beim nächsten helfen kann …“ Neben solchen speziellen thematischen Angeboten gibt es auch selbstorganisierte Gruppen, die jeweils ihr eigenes Steckenpferd haben, zum Beispiel die Skatgruppe.
GUT LEBEN: Und wie steht es um die Menschen mit Demenz in Ihrer Gruppe? Sind auch dort Berührungsängste abgebaut worden?
Melanie Wolthusen-Röhn: Niemand wünscht sich Gebrechlichkeit. Und schon gar nicht Demenz. Sich vorzustellen, dass Menschen auch dann noch Lebensqualität erleben können, wenn sie sich schon im nächsten Moment nicht mehr daran erinnern können, fällt schwer. Es ist aber so. Und damit ist auch ein Trost verbunden. Menschen mit Demenz können durchaus sozial agieren. Dabei muss man nicht nur an das „klassische“ Beispiel des plötzlichen, ganz selbstverständlichen und liebevollen Umgangs mit Tieren wie unseren Therapiehunden denken. Was mir oft auffällt: Auch Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz schaffen es durchaus, anderen bewegungseingeschränkten Gästen in der Gruppe beim Essen zu helfen. Obwohl sie manchmal selbst ihr eigenes Essen auf dem Tisch verteilen, helfen zum Beispiel zwei Frauen einem an Parkinson Erkrankten, den Löffel zum Mund zu führen – sehr konzentriert, geduldig und nach jedem „Erfolg“: glücklich. Offenbar findet dabei ein spontaner Zeitsprung über 50 Jahre, zurück in tief gespeicherte Mutter-Kind-Situationen statt. Auch beim Betrachten von Bildern, beim Vorlesen wird gern assistiert, wenn es motorisch bei anderen nicht mehr geht.
GUT LEBEN: Spricht man darüber, was man erlebt?
Melanie Wolthusen-Röhn: Das ist schwierig, aber oft bringt man plötzlich Fähigkeiten in die Gruppe oder in bestimmte Situationen ein, die aus der Vergangenheit wieder hochkommen. Vor kurzem bekamen wir Besuch aus dem Betreuten Wohnen. Die Nachbarin kam zum Kaffeetrinken und brachte ihr Strickzeug mit. Auf einmal setzte sich eine Frau mit Demenz aus der Tagespflege neben sie und begann, ihr zu helfen und Tipps aus ihren eigenen, lange zurückliegenden Strickerfahrungen zu geben. Nach einer Zeit ging die Frau wieder nach nebenan, und sofort war alles wieder weg.
GUT LEBEN: Zum Schluss drängt sich eine Frage auf. Nach zehn Jahren der Verantwortung hier im Hause: Was macht den Beruf für Sie interessant? Und wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen und Zukunftsthemen?
Melanie Wolthusen-Röhn: Nun, man kann sich in meinem Beruf selbstständig weiterentwickeln, man greift nicht immer auf dasselbe professionelle Standardrepertoire zurück. Denn auch unsere Bewohner und Gäste sind ein Teil gesellschaftlicher Trends und Veränderungsprozesse. Nehmen wir nur den Umgang mit Technik und Medien: Alte Menschen gehen immer selbstverständlicher mit dem Internet, Handys und Tablets um. Die erste Frage bei neuen Interessierten im Betreuten Wohnen lautet: Wie schnell ist der Internetzugang? Selbst in der Tagespflege weiß man, dass man über ein Smartphone „wischt“. Das Zeitgeschehen und aktuelle Nachrichten sind oft Thema. Es gibt ein großes Engagement in der Diskussion. Die aktuell ältere Generation der Mitte Siebzig-Jährigen ist sehr an Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport interessiert – und wird es auch bleiben, solange es eben geht. Ältere Menschen leben nur in der Vergangenheit? Wenn wir einmal für einen Moment den Sonderfall der Demenz ausklammern, würde ich sagen: In der Tagespflege steht die Gegenwart im Mittelpunkt. Man kommt auf ein Thema, zum Beispiel über einen Zeitungsbericht – und dann sprudelt es nur so aus allen heraus. Tagespflege findet im Hier und Jetzt statt.